Im Rahmen der Tätigkeit von Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung wurde im Oktober 2016 ein Projekt mit dem Namen „Neu in Berlin – aufsuchende Informations- und Beratungsarbeit für Neuzugewanderte in Berlin“ – angefangen. Gefördert von der Lotto Stiftung und der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, wird das Projekt bis Dezember 2019 entwickelt. Ein Ziel des Projektes ist die Strategien und Konzepte der Informationsarbeit für die bestimmten Zielgruppen von Neuzugewanderten in Berlin aufzubauen und anzuwenden. Am 29.06.2017 wurde von Minor eine Fachveranstaltung „Migrationsberatung 4.0“ [1] organisiert, wo schon erste Ergebnisse der bisherigen Arbeit veröffentlicht und diskutiert wurden. Dieses Treffen war ein Denkanstoß über das Thema Online Beratung in einer anderen Perspektive nachzudenken.
Fachberatung wird meistens mit Leistungen assoziiert, die vor Ort in der Form des individuellen Coachings oder Gesprächs angeboten werden. Muss es aber so sein? Und wie viele Leute, die Hilfe brauchen, insbesondere was die breit verstandene Migrationsberatungangeht, finden den Weg zu den zuständigen Organisationen? Wo stellen die Leute Fragen im ersten Moment, wenn sie merken, dass sie Unterstützung brauchen? Vielleicht könnte hier die Popularität der Sozialen Medien eine Rolle spielen?
Im Rahmen des Projektes Neu in Berlin wurde das Informations- und Kommunikationsverhalten von der neuen Generation der Zugewanderten untersucht. Die Tendenz unter den polnisch sprachigen, französischsprachigen, arabischsprachigen (einschließlich Flüchtlingen) und englischsprachigen Gemeinschaften in Berlin ist es eher mehr über soziale Netzwerke zu kommunizieren und in den Onlinemedien die Informationsangebote zu nutzen. Was auch die generelle Tendenz gut illustriert, Internet immer mehr im alltäglichen Leben zu nutzen.
In dem Artikel „Migrationsberatung 4.0“ [2] kam Tobias Stampf zur Schlussfolgerung, dass die Gruppen der Migranten sich unterscheiden , was die Wahl der sozialen Medien angeht (beispielsweise bevorzugen die Polen Facebook, wogegen die arabischsprechende Gemeinschaft vor allem WhatsApp nutzt), aber die Gruppen bauen in ihrem Charakter ähnliche Selbsthilfekreise.
Hilfe ist oft am wirkungsvollsten, wenn sie dort angeboten wird, wo sie wirklich gebraucht wird. Die Sozialen Medien haben sich zum großen Teil als eine Selbsthilfeszene etabliert, wo die Beratung spontan von zufälligen Leuten, die aus eigener Erfahrung berichten, übernommen wird. Die Fragen werden auf Facebook oder in WhatsApp-Gruppen gestellt, weil das die einfachste Lösung ist. Antworten, die mit der Blitzgeschwindigkeit kommen, werden als Erste Hilfe angesehen, auch wenn sie öfters verwirrend oder sogar falsch sein können. Zeit spielt hier aber eine wichtige Rolle – wenn man bei institutionellen Trägern – öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Beratungsanbietern – wochenlang auf einen Termin warten muss, reagieren Freunde, Bekannte und Unbekannte in der Zeitspanne von 5 Minuten. Und wer sich eine Vielfalt von Antworten wünscht, wird er/sie es auf jedem Fall bekommen. Nur in seltenen Fällen sind, die in sozialen Netzwerken geteilten Ansichten übereinstimmend. Vielleicht ist es ein demokratischer Mechanismus, wo die Mehrheit zu sagen hat. Sind aber solche Ergebnisse dann auch vertrauenswürdig?
Auf jeden Fall sollte die Rolle der Sozialen Medien in der Beratung von den staatlichen Institutionen und gemeinnützigen Organisationen anerkannt werden. Vielleicht könnte die vernünftige und strategische Aktivität der Träger auf populären Plattformen die Zeit für beide Seiten sparen. Was aber auf keinem Fall bedeutet, dass persönliche Treffen und individuelle Gespräche durch Chat ersetzt werden sollten.